Dušan Dačić

Vor über zwanzig Jahren unterrichtete der Kumite-Vizeweltmeister von 1980 bei einem Gasshuku in Deutschland zum ersten Mal. Nun konnten die Teilnehmer des Gasshuku 2005 in Hannover ihn als gesetzten Mann erneut erleben. Aber von seiner Flexibilität und Schnelligkeit hat er nichts eingebüßt, denn seine Ausweichbewegungen und Konterangriffe sind sehr effektiv. Die Rede ist von Dušan Dačić, dem heutigen Nationaltrainer des Serbischen Karateverbandes (bis zum Zerfall Jugoslawiens war er für das ganze Land mit den jetzt fünf selbständigen Staaten zuständig).

Geboren am 30. Mai 1955 in Novi Sad besuchte er in seiner Vaterstadt die Schule und Universität und wurde als Bauingenieur mit dem Schwerpunkt Statik diplomiert. Er ist verheiratet und hat vier erwachsene Töchter. Seine Frau Danica Vlaisavljević ist ebenfalls Karateka. Sie war die erste Kampfrichterin des Jugoslawischen und des Europäischen Karateverbandes. Auch die Töchter betreiben in unterschiedlicher Intensität Karate, von der Freizeitsportlerin bis zur Nationalkämpferin.

Als fünfzehnjähriger Schüler kam er durch seine Schwester zum Karate und begann im Karate Club Vojvodina mit dem Training unter Tibor Čer bis zum Grüngurt, anschließend nahm ihn Dr. Ilya Jorga  unter die Fittiche. Letzterer besuchte in jenen Jahren dreimal die Woche von der Hauptstadt Belgrad aus Novi Sad, um die Fortgeschrittenen zu unterrichten. Die Brüder Vladimir und Ilya Jorga, beide sind  Ärzte, zählen zu den Pionieren des jugoslawischen Karate und haben Generationen von Kampfsportlern geprägt.

Im Jahre 1974 wurde er in das jugoslawische Nationalteam berufen und startete als Braungurt bei der Europameisterschaft in London. Damals kämpfte Horst Handel im Finale gegen …Capuana (Italien). Ein Jahr später legte Dušan Dačić die Schwarzgurtprüfung im Rahmen eines Lehrgangs bei Meister Taiji Kase in Skopje (heute Mazedonien) ab. Von dieser ersten Begegnung mit dem großen Karate-Instructor war der junge Wettkämpfer so angetan, daß er von nun an so viele Lehrgänge wie möglich bei ihm besuchte. So wurde T. Kase zu einem der wichtigsten Lehrer für ihn und hat sein Karate wesentlich geprägt.

Während seiner aktiven Wettkampfzeit von 1974 bis 1985 hat Dušan Dačić etliche Europa- und Weltmeisterschaften mit der jugoslawischen Nationalmannschaft besucht und insgesamt sechzehn Medaillen von Bronze bis Gold in der Mannschaft und im Einzel sowohl in Kumite und Kata gewonnen. Der Höhepunkt war sicherlich die Vizeweltmeisterschaft im Kumite 1980 in Bremen im Finale gegen T. Mori. Bereits als Nationalkämpfer wurde er 1981 zum Trainer der Junioren des jugoslawischen Verbandes berufen. Als die ersten von seinen Schülern 1985 in das Senioren-Team aufgenommen wurden, beendete D. Dačić seine aktive Wettkampflaufbahn. Zwei Jahre später berief ihn der Verband zum Chef-Coach der Seniorenmannschaft. Diese Funktion hat er heute noch inne.

Schon als junger Mann hatte er den Traum, einmal sein eigenes Dojo mit Holzfußboden, Makiwara, Spiegeln usw. zu besitzen. Diesen Traum verwirklichte er 1995. Die Dreifachbelastungen von Beruf als Bauingenieur, Nationalcoach und Dojotrainer konnte er auf Dauer nicht durchhalten und er mußte sich entscheiden, was er aufgeben sollte. Er entschied sich für Karate und nahm 1992 Abschied von seinem erlernten Beruf als Ingenieur. Zunächst jedoch ging er für zwei Jahre in die USA nach New Jersey und unterrichtete Karate an der Long Island University. Parallel dazu verfaßte er mit seinem Freund Dr. Milorad Strijević ein Lehrbuch „Modern Karate“, das mit wissenschaftlichen Methoden das Wettkampf-Training untersucht und Anleitungen für die Vorbereitung auf Meisterschaften gibt. Er schrieb auch Lehrbriefe für die Anfänger vom Weiß- bis zum Braungurt im Rahmen seiner Trainertätigkeit beim Midaro Karate Club.

Nach den zwei Jahren Trainertätigkeit in den USA kehrte D. Dačić nach Novi Sad zurück und baute sein eigens Dojo, das er bis heute betreibt. Er fing mit zehn Schülern an und hat heute 150 Karateka vom Weiß- bis zum Schwarzgurt in seinem Dojo. Mehr Schüler kann er nicht aufnehmen und will er auch nicht unterrichten, weil er sich bei einer größeren Zahl nicht mehr dem einzelnen in ausreichendem Maße widmen kann.

Was bedeutet Karate für den heute Fünfzigjährigen? Es sind vor allen Dingen die Eigenschaften Konzentration, Disziplin, Respekt und Selbstverteidigung in Verbindung mit Selbstbeherrschung. Physisch bedeutet Karate für ihn Schnelligkeit, Flexibilität und explosive Kraft. Am Karate schätzt er besonders die beidseitige körperliche Beanspruchung im Gegensatz zu vielen anderen Sportarten, die nur die eine Körperseite fordern. Das hat seiner Ansicht nach auch Auswirkungen auf das Gehirn, weil die ganzheitliche körperliche Aktivität auch das Gehirn nicht unbeeinflußt läßt.

Als Wettkämpfer war für ihn Karate immer ein Kampf mit sich selbst. Er wollte schneller als eine Gegner sein. Niederlagen regten ihn zur Reflexion über sein Scheitern an. Als Coach will er seinen Schülern helfen im Prozeß der physischen und psychischen Reifung voranzukommen. Jetzt im Alter von fünfzig Jahren lernt er erst richtig Karate. Es ist für ihn spannender denn je und es animiert ihn, im Karate zu bleiben und sich vor allen Dingen Gedanken über ein sinnvolles Training für die einzelnen Altersstufen zu machen. Zur Zeit bereitet er ein Buch über das Karatetraining mit Kindern in den Altersstufen von sieben bis fünfzehn Jahren vor. Dabei geht es um den vernünftigen Einsatz von Ausdauer, Kraft und Konzentration gemäß dem Vermögen der Kinder in den entsprechenden Altersstufen. Kinder können nicht so trainiert werden wie Erwachsene, wenn spätere Schäden vermieden werden sollen.

Nicht nur als Wettkämpfer hatte Dušan Dačić einen starken Willen. 1996 fastete er 42 Tage und nahm in dieser Zeit 25 kg ab. Er trank neben Wasser nur verschiedene Tees für Nieren, Leber usw. sowie Vitamin- und Mineraliensäfte. Er trainierte und unterrichtete während der gesamten Zeit weiter in seinem Dojo. In seiner Heimatstadt Novi Sad ist er zu einer Institution geworden. Sein Dojo YU Karatedo wurde in den letzten drei Jahren zum erfolgreichsten Sportclub der Stadt gekürt. Aus ihm sind bisher die meisten Nationalkämpfer und internationalen Medaillengewinner hervorgegangen.

Für Dušan Dačić ist das deutsche Gasshuku die größte Veranstaltung ihrer Art weltweit. Er schätzt daran die hervorragende Organisation, das ausgewogene Programm an Kata, Kihon und Kumite, die Vielfalt der Trainer, die internationale und freundschaftliche Atmosphäre. Ihn hat der offene Geist und der Zusammenhalt der Trainierenden und der Trainer beeindruckt. Tagsüber gemeinsam üben und abends beieinandersitzen und sich austauschen, so etwas hat er in dieser Größenordnung und Komplexität noch nicht erlebt. Er wird seinen Schülern empfehlen, unbedingt einmal an einem Gasshuku in Deutschland teilzunehmen.

© Dr. Fritz Wendland