Jean-Pierre Fischer

Wie kommt ein Franzose zu einem deutschen Namen, wenn er nicht Elsässer ist? Nun, Jean-Pierre Fischer hat eine interessante Abstammung. Seine Mutter ist Französin und lernte ihren späteren Mann während des 2. Weltkrieges in Frankreich kennen und lieben. Nach Ende des Krieges und Entlassung aus der Gefangenschaft kehrte der aus Pommern gebürtige Soldat zu ihr nach Frankreich zurück. Die beiden heirateten und der Sohn Jean-Pierre erblickte am 9. September 1950 in Paris das Licht der Welt. Der Vater überlebte als Soldat den Untergang des Schlachtschiffes Tirpitz, die Schlacht um Stalingrad und die Landung der Alliierten in der Normandie sowie die spätere russische Gefangenschaft. Zwar behielt er seine deutsche Staatsangehörigkeit bis zu seinem Tod im Jahre 2000, aber er sprach in der Familie nur Französisch. So kommt es, daß Jean-Pierre nicht Deutsch lernte.

In seiner Jugend betrieb Jean-Pierre acht Jahre die Sportarten Schwimmen und Boxen. Durch einen Freund kam er 1967 zum Karate im Dojo von Meister Oshima in Paris. Nach Beendigung seines Militärdienstes als Fallschirmjäger trat er 1971 in das Dojo von Taiji Kase († 2004) ein. Unter diesem großen Lehrer trainierte er bis zur Schließung des Dojos 1976. Anschließend besuchte er viele Lehrgänge bei dem damaligen JKA Top-Instructor Hirokazu Kanazawa, der sich mit seinem neuen Verband Shotokan Karate International auch in Frankreich einen Namen machte.

Nach etlichen Erfolgen bei Meisterschaften des nationalen französischen Verbandes FFKAMA wurde er 1978 für neun Jahre in die Nationalmannschaft berufen. Er startete vor allen Dingen im Bereich Kata-Shiai und wurde 1982 Europameister der EKU (heute EKF) und 1986 Vizeweltmeister der WUKO (heute WKF). Seine bevorzugten Wettkampf-Kata waren Unsu, Kanku-sho, Gojushiho-sho, Sochin und Niju-shiho. Zu seiner aktiven Wettkampfzeit hatte sein Verband noch keinen Nationalcoach für Kata. Sein Teamkollege Jean-Michel Blanchard und Jean-Pierre beobachteten und korrigierten sich gegenseitig. Mit seinem Ausscheiden aus dem aktiven Wettkampfgeschehen berief ihn die FFKAMA 1987 für drei Jahre zum ersten Nationalcoach für Kata. Heute ist der Träger des 7. Dan technischer Berater und Mitglied der Dan-Prüfungskommission des Verbandes.

Seit Mitte der 1980er Jahre steht Jean-Pierre Fischer in engem Kontakt zum Chief-Instructor des DJKB, H. Ochi. Seit dieser Zeit kommt der Franzose mit etlichen seiner Karateka zu den jährlichen Gasshuku und Kata-Special nach Deutschland und Meister Ochi unterrichtet bei den Sommerlehrgängen, die Jean-Pierre in Frankreich veranstaltet.

Was bedeutet nun Karate für Jean-Pierre? Es ist für ihn eine Art zu leben (façon de vivre). Er trainiert morgens für sich allein, abends unterrichtet er seine Schüler. Karate führt zu einer Erweiterung der Erkenntnis über sich selbst. Man kann seinen Charakter dadurch ausdrücken (exprimer son charactère). Die Kleinigkeiten machen im Karate, wie auch im Leben, das wesentliche aus. Man sollte die Perfektion im Rahmen seiner Möglichkeiten suchen. Auf JP Fischers Weg des Karate hat T. Kase den Grundstock gelegt, H. Kanazawa hat ihn mit seiner Technik, Persönlichkeit und Perfektion beeindruckt. An H. Ochi schätzt er dessen Härte und die Art, wie er die Menschen durch seinen sehr persönlichen Umgang mit ihnen begeistert.

Für Jean-Pierre Fischer ist es wichtig über den Tellerrand zu schauen. Aus diesem Grund fliegt er jedes Jahr nach Japan, um drei Wochen im Honbu-Dojo der JKA zu trainieren. Er besucht auch immer wieder die großen alten Meister in Okinawa, um den Ursprung des Karate besser zu verstehen. Neben dem Gasshuku in Deutschland fährt er auch zu den jährlichen Sommerlehrgängen in Belgien, bei denen jedesmal hochrangige Instruktoren der JKA aus dem Honbu-Dojo unterrichten. Dieser ständige Austausch mit anderen Karateka in anderen Ländern und das Training unter vielen verschiedenen Meistern befruchtet seine eigene Tätigkeit als Karate-Instruktor. Es gibt etliche hochgraduierte französische Schwarzgurtträger, die keine Lehrgänge im Ausland besuchen und auch nicht wissen, was im japanischen Karate vor sich geht.

Das oberste Ziel ist das Weitermachen, immer lernen, um andere lehren zu können. Isolation führt zur Stagnation und letztlich zum Rückschritt. Natürlich gehört hierzu die Gesundheit als Grundlage. Jean-Pierre schwimmt täglich acht bis zehn Kilometer, auch hier zählen die ständigen Wiederholungen. Karate bedeutet aber mehr, weil es die direkte Konfrontation mit dem Partner bietet. Diese Auseinandersetzung ist das Bereichernde im Karate, es ist die unmittelbare Kontrolle für sich selbst und zeigt die Schwächen und Stärken sofort auf.