Misako Aragaki

JKA Instructorin

Nanu, kein Druckfehler: eine weibliche JKA-Instructorin? Eine Absolventin der berühmten Instructor-Class des Honbu-Dojos der Japan Karate Association JKA in Tokyo? Gibt es das überhaupt in der klassischen Männerdomäne der immer noch patriarchalisch ausgerichteten japanischen Gesellschaft? – Ja, es gibt sie, die JKA-Instructorin. Und nicht erst seit heute, nein, schon vor Jahrzehnten absolvierten einige Frauen den harten und entbehrungsreichen Zweijahreskurs der Instructor-Class am Honbu-Dojo der JKA. Zu ihnen gehören die Ehefrauen der Instructoren Takayuki Mikami (JKA-Instructor in New Orleans, Louisiana), Hiroshi Shoji (Autor der bisher unübertroffenen Kata-Bücher der JKA) undIsamu Saito. Seit etwa sechs Jahren sind wieder Frauen in der Instructor-Class vertreten.

Wie kam die heute 26jährige Misako Aragaki in die Insructor-Class, wie verlief ihr bisheriges Leben? Karate liegt wohl in ihren Genen, denn ihre Vorfahren kommen aus Okinawa. Ihr Großvater Ryujyou Aragaki zog nach dem Zweiten Weltkrieg nach Tokyo und eröffnete im Stadtteil Yoyogi ein Karate-Dojo, in dem er klassisches Okinawa Goju Ryu lehren ließ. Einer der Lehrer im Dojo war Morio Higaonna aus Okinawa, heute einer der bekanntesten und erfolgreichsten Goju Ryu Instruktoren. Er leitete bis zum letzten Jahr ein großes Dojo in San Diego, Kalifornien, und gibt weltweit Lehrgänge. Nun lebt er wieder in Okinawa. Misako Aragakis Vater Seirou lernte bei M. Higaonna Karate und unterrichtete später seine Tochter Misako, die im Alter von sechs Jahren mit dem Karatetraining begann und bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr Goju Ryu betrieb und den 2. Dan erlangte.

Nach dem Abitur schrieb sich M. Aragaki an der Aoyama Kakuin Universität im Fachbereich Erziehungswissenschaften ein. An dieser Hochschule unterrichtet der JKA-Instructor Shinsuke Takahashi Karate. So wechselte die Goju Ryu Karateka, da sie Karate auch an der Hochschule betreiben wollte, in den in einigen Bereichen anderen Shotokan-Stil. Sie setzte also als Weißgurt das Training fort, mußte aber umlernen, so z.B. von Shiko-Dachi zu Kiba-Dachi. Auch Hanmiwird im Goju Ryu kaum angewandt. Die Kata sind ohnehin völlig anders. Es gibt zwar nur neun Kata im Goju Ryu, dafür aber teilweise sehr lang, im Gegensatz zu den 26 Shotokan Kata. Ihre Kommilitonen haben ihr wegen ihres ursprünglich anderen Karate-Stiles keine Schwierigkeiten bereitet. Sie schloß ihr vierjährigen Studium an der Universität mit dem Diplom in Pädagogik und das Training mit dem Shodan ab.

Die JKA-Instructor-Class war ihr nicht in die Wiege gelegt worden. Es ist schon sehr außergewöhnlich, daß sich eine junge Frau von 22 Jahren für den harten und entbehrungsreichen Weg in dieser wohl einmaligen Kaderschmiede des Karate entscheidet. Man denke nur an die vielen männlichen Absolventen der Takushoku Universität und daran, daß von ihnen auch nur sehr wenige den Sprung in die Instructor-Class wagen bzw. schaffen. Ihr Karate-Lehrer an der Universität und ihm JKA Honbu-Dojo, S. Takahashi, hatte ihr die Idee von der Instructor-Class in den Kopf gesetzt. Außerdem wollte Misako Aragaki ihrem Vater Seirou nacheifern und eine gute und erfolgreiche Karateka werden.

Neben vielen anderen am Honbu-Dojo lehrenden Instruktoren war vor allem Yoshiharu Osaka ihr Hauptlehrer während der zweijährigen Ausbildungszeit. Y. Osaka errang 1975 und von 1977 bis 1983 jeweils den Titel des Kata-Champions bei den JKA-Meisterschaften, sowie 1978 und 1979 den dritten Platz im Kumite. 1976 war unser Chief-Instructor Hideo Ochi, damals Bundestrainer des Deutschen Karate-Bundes DKB, nach bereits sechsjährigem Aufenthalt in Deutschland, auf Anhieb noch einmal Sieger im Kata-Shiai der JKA geworden nach seinen großen Erfolgen sowohl im Kumite wie in der Kata von 1965 bis 1969.

Im vergangenen Jahr gewann die junge Instruktorin bei den JKA-Meisterschaften den dritten Platz sowohl im Kumite- wie auch im Kata-Shiai. Ihre Kür-Kata ist Unsu. Ihr jetziges Ziel ist der Gewinn der JKA-Meisterschaften. Sie ordnet ihr gesamtes Leben diesem Anspruch unter. Karate bedeutet ihr zur Zeit alles. Sie lernt viele Menschen kennen, sie bereichern ihr Leben. Sie lernt auch von Anfängern, die sie in anderen Dojos unterrichtet. Wenn z.B. ein erfolgreicher Anwalt oder Ingenieur als Weißgurt in der Reihe steht, dann fragt sie sich, warum sich dieser Mensch den Strapazen und der Unterordnung im Training unterzieht.

Der Einsatz bei dem diesjährigen Kata-Special in Karlsruhe war für M. Aragaki der zweite Auslandsaufenthalt. Sie begleitete ihren Universitätslehrer S. Takahashi einmal nach Australien und Neu-Seeland zu einer Trainingsreise. S. Takahashi ist im Fünften Kontinent Chief-Instructor der JKA. Leider wird die junge Instruktorin nicht als Trainerin im Honbu-Dojo der JKA eingesetzt. Sie arbeitet dort nur im Büro, Training gibt sie in anderen Tokyoter Dojos. Aber sie nimmt nach wie vor am Training der Instructor-Class teil, um sich auf die Meisterschaften vorzubereiten. Ihr Einsatz als Trainerin beim Kata-Special war sicherlich ein große Erfahrung für sie, gewissermaßen ein eye-opener. Die Politik der JKA ist in mancher Hinsicht für einen Europäer, aber auch einige japanische Insruktoren, schwer nachvollziehbar. Insofern ist es sehr zu begrüßen, wenn DJKB Chief-Instructor H. Ochi auch eigene Wege beschreitet und jungen Instructoren die Chance bietet, sich ein eigenes Bild von der Realität in anderen Ländern zu machen. Es ist eben etwas anderes, wenn man eigenverantwortlich ein Training von zweihundert Schwarzgurten in einem fremden Land leitet, als wenn man alsKohai einem Instructor assistiert oder Anfänger in einem kleinen Vorstadt-Dojo trainiert. So ist der Einsatz der jungen JKA-Instructorin beim Kata-Special vor allem unter dem Gesichtspunkt ihrer eigenen Erfahrung und Weiterbildung zu sehen.

Bei dem Gespräch mit M. Aragaki und H. Ochi stellte sich heraus, daß der oben bereits erwähnte Morio Higaonna mit unserem Chief-Instructor ein Jahr lang zusammen die Takushoku Universität besucht hatte und in derselben Klasse saß, bevor er an eine andere Universität wechselte. M. Higaonna mußte damals 1958 für ein Jahr lang von seinem Stil Goju Ryu das ihm unbekannte Shotokan erlernen.

© Dr. Fritz Wendland