Risto Kiiskilä

Ein Finne in Deutschland – Risto Kiiskilä, die Ruhe und Kraft aus dem hohen Norden. So erscheint der langjährige Kaderathlet und jetzige DJKB-Instructor in seiner beständigen Ruhe und Zurückhaltung. Aber hinter diesem äußeren Anschein steckt wesentlich mehr.

Der am 4. Mai 1947 in Lahti geborene jetzige DJKB-Instructor kam eigentlich mehr oder weniger durch Zufall anch Deutschland. Nach dem Abitur 1967 diente er in einem Jägerbataillon der finnischen Armee und wurde nach einem Jahr zum Leutnant befördert. Die Kadettenschule, die er anschließend besuchen wollte, begann jedoch erst ein halbes Jahr später, das Studiensemester an der Universität war auch vorbei. So füllte er die Zeit und nahm an einem Studentenaustausch nach Deutschland teil. Hier bewarb er sich an den Universitäten Mannheim und Frankfurt/M  für das Betriebswirtschaftsstudium. Von beiden Hochschulen erhielt er eine Zusage. Er schrieb sich an letzterer zum Sommersemester 1970 ein. Die deutsche Sprache hatte er bereits acht Jahre auf dem Gymnasium erlernt.

Mit dem Studienbeginn meldete sich Risto Kiiskilä zum Judotraining in der Frankfurter Budo-Schule „Judokan“ an. Eigentlich wollte er Modernen Fünfkampf betreiben, aber ohne Auto war die Übungsstätte in Niederrad für ihn zu weit. Als Schüler und Soldat war er bereits ein erfolgreicher Sportler in den Disziplinen Skilanglauf und Schwimmen sowie Militätdreikampf (Schwimmen, Schießen, Laufen) gewesen. Nun, es blieb bei einer einmaligen Judolektion, denn nach der Einheit erschien eine kleine Gruppe von Karateka, die unter Shinseki Takano ihr Training abhielt. Kiiskilä schaute zu – und sattelte um. Bereits drei Jahre später legte er bei Ochi-Sensei seinen Shodan ab und hielt auch im Judokan schon Übungsstunden. Ab 1975 übernahm Yusukasu Murai als Cheftrainer für Karate die Nachfolge von S. Takano und wurde somit auch zu seinem „Heimtrainer“.

1973 errang R. Kiiskilä den Titel des Hessenmeisters im Karate und wurde von Bundestrainer Ochi nach einem Lehrgang in Hamburg in das Nationalkader berufen. Er wußte vorher weder etwas von einer Nationalmannschaft noch etwas vom Kämpfen. Im Judokan wurde Karate um des Karate trainiert, nicht zielgerichtet auf eine Meisterschaft oder einen Titel hin. Gleichwohl muß das Training derart effektiv auch für das Kumite gewesen sein, daß der junge Student bereits bei seiner ersten Meisterschaft zu Titelehren kam. 1974 wurde er erstmals bei einem Länderkampf gegen Österreich für das damalige DKB (Deutscher Karate-Bund) Team eingesetzt. Während es für ihn den Beginn einer erfolgreichen internationalen Karriere bedeutete, startete Horst Handel hier zum letzten Mal für die deutsche Mannschaft. Neben dem zweimaligen Gewinn der deutschen Meisterschaft im Einzel-Kumite 1977 und 1979 war sicherlich der Vizeweltmeistertitel mit der deutschen Mannschaft in Tokyo 1977.

Neben seinem Studium arbeitete der finnische Karateka halbtags in der Importabteilung einer großen deutschen Handelskette. 1977 wurde das Jahr der Entscheidung. Seine Firma wollte ihn ganztags beschäftigen und der Judokan ihn als Cheftrainer haben. So wählte er diesen Weg und gab sein Studium auf. 1985 eröffnete er seine erste eigene Karate-Schule, seit 1998 hat er in Frankfurt-Nied sein Dojo. Nach der Wende gründete er in Weimar ebenfalls ein Dojo. Seit 1992 ist er verheiratet und hat einen Sohn, der seit seinem fünften Lebensjahr auch Karate betreibt.

Karate hat sich in den letzten 30 Jahren seit R. Kiiskiläs aktiver Zeit als Kämpfer verändert. Früher war er natürlich ein Teil des Ganzen, eingebettet in das Kader und das Training unter seinen Trainern im Judokan. Heute ist er mehr Beobachter. Er empfand das Training früher als strenger, es wurde mehr verlangt. Das war aber auch gesellschaftlich bedingt. Darüber hinaus hat sich der Typus des Karateka durch die Gewichtsklassen verändert. Im Kumite findet eigentlich kein Kampf mehr statt, also keine tatsächliche Auseinandersetzung, sondern mehr ein Sportspiel, wer schneller ist. Früher stand man gegeneinander, heute mehr miteinander.

Auch in der Kata hat sich die Einstellung geändert. Legte man vor über zwanzig Jahren Wert auf Grundschule, Kraft, Dynamik, zählt heute mehr die Optik. Dazu gehört Schönheit. Sie begünstigt kleinere und mittelgroße Karateka. Große, starke Karateka haben keine Chance mehr. Das ist sicherlich auch ein Problem der Bewertung. Heute könnten auch Eiskunstlauf-Kampfrichter Kata bewerten. Die Kriterien haben sich verändert. Langsame Bewegungen, Übergänge werden überbewertet. Dabei ist Kata eigentlich der Weg zum Kumite. Die großen starken Karateka beschäftigen sich leider zu wenig mit, weil sie im Wettkampf gegen kleinere, mittelgroße Athleten keine Chance mehr haben. Also übernehmen letztere das Feld. Dadurch verarmt die Disziplin, weil nur noch eine Richtung vorherrscht.

Auf die Frage „Was ist Karate?“ antwortet der Instructor: „Karate ist meine eigene Angelegenheit. Ich bestimme selbst, was Karate ist auf Grund meiner Erfahrung und meines Lernens. Ich muß schließlich Karate mit mir selbst machen. Realisieren kann man nur das, was man selbst durchdenkt. Karate ist etwas Reales.“ Hierzu bedarf es der EntwicklungIdeal – Leitbild – Realisation. Das ist ein langer und natürlicher Prozeß der Reifung. Ein Hinterherlaufen bringt nichts.

Warum hat R. Kiiskilä die Maxime „Feel the Ippon“ für sich gewählt? Sie enthält mehrere Aspekte. Einerseits sollte man nur das zu trainieren, worauf es ankommt. Aber das muß man erst herausfinden. Manch einer trainiert, ohne zu wissen, worauf, für was er trainiert. Vor allem als Trainer muß man wissen, worauf es ankommt, sonst kann man seine Schüler nicht richtig ausbilden. Andererseits  muß der Dreierschritt Spannung – Entspannung – Beweglichkeit im kleinen Raum beachtet werden. Das ist die wesentliche Herausforderung an das Training. Es ist der rote Faden, der sich durch alle Trainingseinheiten zieht: Entspannung – Schwerpunktverlagerung – Suri-ashi – Konter.  Über die „Beweglichkeit im kleinen Raum“ arbeitet er mit einem Mediziner und einem Sportwissenschaftler an einem Buch. Wir dürfen gespannt sein.

Die Grundschule Kihon schafft nur die Voraussetzungen für Karate. Damit fängt Karate erst an. Allerdings wird dieser erste Schritt von vielen nicht weiterentwickelt. Die Trainierenden bleiben statisch, sie können sich nicht bewegen. Ein Training ohne Gedanken führt nicht zur wirklichen Verbesserung des Karate. Es ist wie ein sonntäglicher Kirchgang ohne innere Einkehr – man bleibt ein oberflächlicher oder gar schlechter Mensch. Feel the Ippon ist ein körperlicher undgeistiger Vorgang.

© Dr. Fritz Wendland