Yutaka Yaguchi

JKA-Instructor der ersten Stunde

Man sieht ihm die 68 Jahre wahrlich nicht an, und wenn er sich im Training bewegt, so mag man es kaum glauben, dass Yutaka Yaguchi mittlerweile ein halbes Jahrhundert Karate betrieben und mitgestaltet hat. Neben seiner körperlichen Schnelligkeit zeichnet ihn eine große geistige Beweglichkeit aus. Dazu beigetragen haben sicherlich auch die unterschiedlichsten Stationen in seinem Leben.

Geboren im Jahre 1932 in Hiroshima wurde Y. Yaguchi als 13jähriger Schüler Zeuge der Atombombenkatastophe am 6. August 1945. Da er am Stadtrand, 18 km vom Zentrum entfernt, wohnte und die Schule besuchte, entging er dem schrecklichen Angriff. Allerdings mußte er mit seinen Mitschülern bei den Bergungs- und Aufräumarbeiten helfen und wurde so mit den direkten und indirekten Folgen des Bombenabwurfs konfrontiert. Nach dem Abitur 1951 wechselte er nach Tokyo, um an der Nihon Universität, einer der größten und renommiertesten japanischen Universitäten, das Studium der Meeresbiologie aufzunehmen. Mit ihren 100.000 Studenten zählt sie zu den größten im Lande.

Karate lernte Y. Yakuchi zunächst bei den Shito-Ryu-Anhängern der Universität kennen. Die zahlenmäßig größte und auch an Einfluß stärkste Gruppe ist vor Goju Ryu und Shotokan die Wado-Ryu Sektion. Aus ihr ging auch der kürzlich verstorbene Teruo Kono (Hamburg) hervor sowie etliche führende Karatemeister und Offizielle der Japan Karate Federation JKF wie Takaichi Mano (Generalsekretär der JKF, vor zwei Jahren verstorben), Toru Arakawa (Technischer Direktor der JKF), Prof. Dr. Nagatomo Yamaoka (ehemals Generalsekretär der WUKO) hervor. Meister Yaguchi wandte sich recht bald nach Aufnahme des Studiums vom Shito Ryu ab und schloß sich dem Shotokan der JKA an. Seine Lehrer wurden Masatoshi Nakayama und Teruyuki Okazaki (heute in Philadelphia, USA), die zu jener Zeit, als es noch keine Instructor-Class am Honbu Dojo der JKA in Tokyo gab, herumreisten und Karate unterrichteten.

Nach dem Erwerb des Diploms in Meeresbiologie arbeitete Y. Yaguchi ein knappes Jahr in seinem Beruf, bevor er in den dritten Kurs der JKA Instructor-Class eintrat (Hirokazu Kanazawa und Takayuki Mikami nahmen am ersten einjährigen Kurs teil). In jenen Jahren gab es zwei verschiedene Kurse der Instructor-Class, einmal den einjährigen für Universitätsabsolventen mit dem 1. Dan und den zweijährigen für jene mit dem 2. Dan. Nur die Takushoku und die HoseiUniversität hatten eigene Karate-Lehrer, die den 2. Dan besaßen. Die Nihon Universität hatte keinen eigenen Lehrer für Shotokan und war auf fremde Lehrkräfte angewiesen. Die Dan-Prüfungen waren damals sehr schwer, so bestanden von 300 Anwärtern nur 10! Da Y. Yaguchi „nur“ den 1. Dan besaß, mußte er in die zweijährige Instructor-Class von 1956 bis 1958 gehen. Von seinen drei Mit-Anwärtern hat keiner die zwei Jahre durchgehalten, so daß er schließlich alleine war und auch die Prüfung zum JKA-Instructor und zum 3. Dan bestand. Er nahm mehrmals an den JKA-Meisterschaften teil und errang 1962 und 1963 jeweils den 3. Platz im Kumite-Shiai nach Hiroshi Shirai und Keinosuke Enoeda (1962 errang Shirai den Titel vor Enoeda und 1963 war es umgekehrt).

Nach Abschluß der Instructor-Class unterrichtete Y. Yaguchi mehrere Jahre am Honbu Dojo der JKA sowie an verschiedenen Dojos in Japan. Während seiner Tätigkeit am Honbu Dojo war auch unser Chief-Instructor Hideo Ochieiner seiner Schüler gewesen. Im Jahre 1965 begab er sich auf Vermittlung vom damaligen JKA Chief-Instructor M.Nakayama in die Vereinigten Staaten, um dort Lehrgänge abzuhalten. Nachdem er zwei Monate in Los Angeles bei Hidetaka Nishiyama, zu jener Zeit Chief-Instructor der JKA in den USA, in dessen Dojos unterrichtet hatte, reiste er weiter nach Denver, Colorado. Dort schlug er Wurzeln und eröffnete sein eigenes Dojo. Er lebt dort noch heute mit seiner Frau und seinen beiden Kindern, die inzwischen erwachsen sind. Sein Sohn praktiziert auch Karate und hat den 2. Dan. Von seiner neuen Heimat aus besucht er zahlreiche andere Dojos in Nordamerika, um seine jahrzehntelangen Erfahrungen weiterzugeben.

Meister Yaguchi beobachtet die Entwicklung des Karate vor allem in den USA sehr sorgfältig, weil dort diese Kampfkunst zuerst außerhalb Japans unterrichtet und auch am schnellsten vom Professionalismus erfaßt und abgeändert wurde (Kick-Boxen, Leicht- und Vollkontakt, Vermischung mit koreanischen und thailändischen Kampfsportarten). NachYaguchis Ansicht haben aber auch im traditionellen Karate der JKA die häufigen Turniere die Techniken der Wettkämpfer verändert und so Eingang in das ursprüngliche Dojotraining gefunden. Früher bestritt ein Wettkämpfer nur einmal, im Ausnahmefall zweimal im Jahr ein Turnier. Es blieb daher genügend Zeit, die im Karate wesentlichen Techniken Tsuki undKeri zu stärken: Kraft und Schnelligkeit. Sie werden bei zu vielen Wettkampfvorbereitungen vernachlässigt.

Heute hat sich Karate im wesentlichen in zwei Richtungen ausgeprägt: in reines Wettkampftraining und in reines Dojotraining. Eine Kombination von beidem hält er für sinnvoll, wenn die Wettkampfaktivität eines Karateka sich auf wenige Turniere beschränken würde. Ein langjähriger Wettkämpfer sollte sich am Ende seiner aktiven Phase fragen, was richtiges Karate ist. Wenn er sich entscheidet weiterzumachen, dann sollte er nicht nur andere trainieren, sondern für sich selbst ein starkes Karate mit der Basis Tsuki und Keri fortentwickeln. Damit ist jedoch keineswegs gesagt, daß Wettkampf-Karate kein Karate ist. Es ist allerdings nur ein Teilaspekt des Karate. Es gibt eben mehr als nur nach außengerichtete Turniere. Es ist andererseits eine Tatsache, daß viele erfolgreiche Wettkämpfer nach Beendigung ihrer Wettkampfphase das Karate-gi an den Nagel hängen, mit Karate allmählich oder sogar abrupt aufhören und sie selber in der „Versenkung“ verschwinden. Beispiele gibt es dafür in Deutschland mittlerweile auch zur Genüge.

Bei seinen vielen Traininingsaufenthalten in verschiedenen Ländern hat Y. Yaguchi gelernt, die kulturellen Eigenarten seiner Schüler zu achten. Aber es gehört nicht nur die Achtung vor der Persönlichkeit seines Schülers zu einem guten Lehrer. Er muß beim Training auch auf die unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen achten. Es hat keinen Sinn, seine eigenen physischen Voraussetzungen seinen Schülern überstülpen zu wollen. Ein guter Lehrer muß die wesentlichen Elemente des Karate seinen Schülern nahebringen und die individuelle Umsetzungsmöglichkeiten fördern. Es bringt nichts, wenn der Trainer nur seinen eigenen Körper „lehrt“ wie es in den letzten Jahrzehnten zunehmend ehemalige langjährige Wettkämpfer praktizieren.

Erstmals weilte Meister Yaguchi anläßlich des Gasshuku 2000 in Deutschland. Er war von den vielen eifrigen Schülern beeindruckt. Am meisten jedoch hatte er Hochachtung vor den vielen Campern, die trotz des Dauerregens während des diesjährigen Gasshuku nicht ihre „Zelte abbrachen“ und weitermachten. Allen Teilnehmern des Gasshuku möchte er sagen: „Dankeschön!“

© Dr. Fritz Wendland